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Meines Erachtens ist die mcd dreierlei: Unbestrittenermaßen ein hervorragendes, einzigartiges, vielfältiges und strenges Körpertraining - grundlegend für jede Art körperbetonter Bühnendarstellung - das sich mit Hingabe und Leidenschaft einem präzisen, effizienten, plastisch-skulpturalem Körperausdruck verpflichtet fühlt, in seiner Systematik und Tiefgründigkeit kaum zu übertreffen. Nicht zuletzt wird Decroux oft als der “Grammatiker der Mime”, insbesondere aber als der 'Vater der modernen Mime' bezeichnet.

Die mime corporel dramatique (oft auch nur ‘mime corporel’, im Englischen ‘corporeal mime’, hier ‘mcd’) ist sowohl umfassende Mimen-Technik als auch eigenständige Bühnenkunst, begründet von dem französischen Mimen und Schauspieler Etienne Decroux (1898 - 1991). Die mcd ist stummes Schauspiel mit dem Körper als Ganzem. Sie hebt sich ebenso deutlich ab von der Pantomime à la Marcel Marceau (Grimassen, Gesten, imaginäre Objekte, Illusionen), wie von Bewegungsästhetik um seiner selbst Willen. Das dramatische Geschehen liegt stets im Vordergrund.

 

Die mcd widmet sich mehr den Befindlichkeiten einer Figur, seinen Gedanken und Gefühlen. Sie ist also weniger narrativ und den äußerlichen Dingen verhaftet, sondern subjektiv, situativ, stilisiert bis abstrakt. Dem Leben innen zugewandt und dabei expressiv. Oder wie Decroux es nennt: ‘rendre visible l'invisible’ (das Unsichtbare sichtbar machen).

 

Decroux (der die Pantomime mit Argwöhn betrachtete) sah seine Bühnenkunst denn auch am ehesten verwandt mit den Künsten der Skulptur, der Musik und der Poesie.

Darüber hinaus ein eigener Stil der Darstellung: eine sublime Ästhetik der Bewegungen, von virtuoser Vielfalt und Musikalität in Rhythmus und Form, und dabei reduziert auf das Wesentliche, den Menschen, möglichst nackt und ehrlich; als dieser Stil zu Mitte des letzten Jahrhunderts entstand Avantgarde, noch heute von zeitloser Schönheit und in der Tradition der Mime fest verankert.

 

Für mich aber eröffnet die mcd insbesondere eine eigene - poetische - Betrachtungsweise des Geschehens auf der Bühne, den Inhalten und künstlerischen Aussagen, dem feinen Verwobensein in ein größeres Ganzes, Kausalitäten jenseits der augenscheinlichen Erklärungen, mit einem tiefschürfenden Blick auf das Schicksal seiner Figuren, der Achtung vor ihrem Streben, der Demut vor Ihrer Würde, der Bewunderung für ihre Fertigkeiten. Der Zelebration ihrer Zerbrechlichkeit.

 

Insofern ist die mcd für mich auch heute so radikal und aktuell wie eh und je.

 

 

Fachbegriffe aus der mime corporel ->                                                                                       here is an english interview about mcd ->

 

 

 

 

 

Etienne Marcel Decroux, ca. 1975

Fotos: © Christian Mattis, www.mattis.ch

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